Der Kapitalismus
Ich lebe ja in Brasilien, und hier gibt es immer wieder die Diskussion über Kapitalismus. Zusammengefasst sehen viele Menschen hier und woanders folgendes Bild:
Kapitalismus = Alle Macht den Reichen, Unterdrückung der Armen
Sozialismus = Beschränkung/Unterdrückung der Reichen, alle Macht den Armen
Die freie Marktwirtschaft
Ich bin kein Ökonom und kann das theoretisch also kaum fundiert diskutieren, aber man wächst ja mit den Aufgaben. Kapitalismus ist leider negativ konnotiert, aber das liegt an dem Widerstand der Sozialisten.
Bevor man vom Kapitalismus redet, muss man über die freie Marktwirtschaft reden, denn in der Realität sind die kapitalistischen Modelle Perversionen der freien Marktwirtschaft.
Ich sehe als Basis der freien Marktwirtschaft und des Kapitalismus und als entscheidenden Gegenpol des Sozialismus das Privateigentum. In einem kapitalistischen System kann man sich anstrengen und Kapital ansammeln, was einem auch selber gehört. Das heißt, nach dieser Anstrengung darf man die Früchte seiner Arbeit auch genießen, und andere, die sich nicht angestrengt haben, bleiben außen vor (haben aber die gleichen Möglichkeiten). Das Kapital, welches man ansammelt, hat nicht unbedingt mit Geld zu tun; die eigene Ausbildung und der Aufbau eines Netzwerks haben oft viel mehr Einfluss auf die eigene Zukunft.
Worum geht es eigentlich? Menschen wollen gut leben. Jeder versucht, für sich und seine Familie ein Optimum zu finden. Um gut zu leben, muss ich normalerweise konsumieren. Im einfachsten Fall will ich etwas essen, im komplexeren Fall eine Kreuzfahrt unternehmen. Will ich etwas essen, kann ich jagen gehen, oder ich habe rechtzeitig etwas angepflanzt und ein paar Tiere gezüchtet. Das hat über Jahrtausende funktioniert.
Die Leute sind während dieser Zeit meist nicht sonderlich alt geworden, und die Kreuzfahrt blieb ihnen bis vor Kurzem verwehrt. Wenn ich die Kreuzfahrt als Ziel habe, ist das System des Selbstversorgers schon etwas schwieriger. Nicht nur, dass ich den Kahn selber bauen muss, sondern ich muss auch selber für mich kochen, mich bedienen usw.
Genau deswegen gibt es einen Markt. Ein Markt ist ein Konstrukt, in dem sich jeder einbringen kann und etwas Vorteilhaftes für andere anbietet. Andere finden etwas, was für sie von Vorteil ist, und tauschen, was sie selber anbieten können, dafür. So baut jemand z. B. Kirschen in einer Menge an, die er nie selber vertilgen will, aber andere bauen keine Kirschen an und tauschen gerne ihre Leistung für diese Kirschen. Damit kann sich jeder auf das konzentrieren, was er gut kann und gerne macht und insgesamt viel mehr konsumieren, also besser leben.
Wenn jetzt ein Marktteilnehmer auf die Idee kommt, auf einen Teller zu scheißen und dies als Kunst oder Nahrung anzubieten, wird er meistens recht schnell herausfinden, dass es dafür wenig Interessenten gibt, also wird kaum jemand mit ihm tauschen wollen.
Damit kommen wir zu einem weiteren wichtigen Bestandteil der Marktwirtschaft, nämlich der Allokation der Ressourcen zum Vorteil aller. In der freien Marktwirtschaft baut der eine jetzt Kirschen an. Sein Geschäft läuft gut. Andere kommen auf die gleiche Idee und bauen auch Kirschen an. Solange es genug Menschen gibt, für die diese Kirschen von Vorteil sind (das zeigen sie, indem sie diese Kirschen kaufen), wird dieser Markt wachsen. Wenn der Markt mit Kirschen aber übersättigt ist, wird die Nachfrage nach weiteren Kirschen dramatisch fallen. Somit werden im Schnitt immer genau so viele Kirschen produziert, wie auch nachgefragt werden. Es ist also nicht so wie in der EU, dass Tomaten wie verrückt angebaut und dann kompostiert werden. Der freie Markt ist weitgehend frei von Fehlallokationen!
Die treibende Kraft für alle Marktteilnehmer ist, dass es ihnen oder ihren Familien durch ihren persönlichen Einsatz danach besser geht als zuvor. Das wird als Profitmotiv deklariert, ist aber so nicht richtig, wenn man Profit nur auf monetäre Vorteile bezieht. Ich als Marktteilnehmer kann mich in einem freien Markt genau so weit einbringen, wie ich möchte. Ich werde das so weit machen, wie mein Wohlbefinden dadurch steigt. Wenn mir also ein Projekt angeboten wird, bei dem ich über zwei Jahre bei 1.900 Arbeitsstunden pro Jahr jeweils 250.000 Euro bekomme, kann ich das dankend ablehnen und ein Projekt annehmen, bei dem mir in drei Monaten à 200 Stunden 60.000 Euro angeboten werden, weil mir das Geld für diese zwei Jahre reicht, ich viel weniger Steuern zahlen muss und dann 21 Monate Freizeit habe.
Soweit zur freien Marktwirtschaft. Nun kommt noch ein Anhängsel aus dem Kapitalismus: die Lohnarbeit.
Die Lohnarbeit wird von Linken oft in Richtung Ausnutzung, bis hin zur Sklaverei, verklärt. Das Gegenteil ist aber richtig. Die Lohnarbeit beruht zum Teil auf Bequemlichkeit und Risikominimierung, wird aber auch von Regierungen gefördert, die gerne Kontrolle über die Bürger ausüben.
Ich gehe jetzt einmal ganz frech davon aus, dass die Lohnarbeit eigentlich nicht notwendig und nicht zielführend ist. Gehen wir dazu von einem Zustand eines gut geführten Landes aus. Jeder hat gewisse Rücklagen und ist nicht darauf angewiesen, morgen anschaffen zu gehen. Der Bäckereibesitzer, der seinen Laden betreibt, braucht Hilfe beim Brotbacken und beim Verkauf, sonst geht sein Laden pleite. Während der Bäcker auch mal einen Monat unbezahlten Urlaub machen kann, ist es für den Bäckereibesitzer schon schwieriger. Wenn sein Laden offen ist, verursacht er viele Kosten, selbst wenn er geschlossen ist. Der Bäckereibesitzer ist also darauf angewiesen, Menschen zu finden, die ihn unterstützen. Dafür muss er ihnen ein sinnvolles Angebot machen. Die potenziellen Bäcker können sich umhören und schauen, wer das beste Angebot macht. Gute Bäcker werden dann die Bäckerei finden, die gut bezahlt, und Bäckereien, die schlecht bezahlen, werden vielleicht pleite gehen, da sie keine Brötchen mehr verkaufen können.
Kein Bäcker ist darauf angewiesen, für die gleiche Bäckerei über Jahre zu arbeiten, und keine Bäckerei muss mit dem gleichen Bäcker arbeiten. Wenn es zu viele Bäcker auf dem Markt gibt, werden sich einige überlegen, vielleicht Fische zu züchten; wenn es zu wenige Bäcker gibt, wird sich das herumsprechen, und mit den steigenden Stundensätzen wird für Anreiz gesorgt, sich in diesem Markt zu etablieren.
Warum gibt es eigentlich Lohnarbeit? Meine Antwort: Bequemlichkeit, zuerst auf Arbeitnehmerseite, anschließend auf Arbeitgeberseite. Ich habe mich schon während des Studiums selbstständig gemacht und bin nie auf die Idee gekommen, mich anstellen zu lassen (allein deswegen, weil ich nur die Hälfte des Geldes verdient hätte). Trotz dieses Unterschieds in den finanziellen Möglichkeiten haben 90 % der Kommilitonen für eine Festanstellung votiert. Ihnen war das regelmäßige Gehalt und die Aussicht auf eine langsame Karriere wichtiger als Freiheit und mehr finanzielle Möglichkeiten. Wenn ein Arbeitgeber einen großen Pool an möglichen Angestellten hat, wird er für die einfachen Aufgaben auch immer darauf zurückgreifen. Das ist auch für den Arbeitgeber kalkulierbarer. Wenn spezielle Fähigkeiten nachgefragt werden, die man so nicht ständig braucht oder die auf dem normalen Markt nicht vorhanden sind, dann wählt man einen Freelancer. Durchaus nachvollziehbar, aber nur möglich, weil die meisten Menschen gefühlte Sicherheit vor Freiheit setzen.
In der Kapitalismuskritik wird allerdings aus dieser Lohnarbeit eine Art Sklaverei beschworen. Das Gegenteil ist der Fall! Lohnarbeit existiert nur, weil die meisten potenziellen Arbeitnehmer dieser Vertragsart zustimmen.